Der große Graben und die vielen Schächte. Archäozoologie des mittelalterlichen Münchens
Die Ausgrabungen auf dem „Marienhof“ in München hinter dem Rathaus stellen den bis jetzt größten archäologischen Eingriff in der Münchener Altstadt dar. Neben dem Stadtgraben wurden auch zahlreiche Schächte (d.h. Latrinen, Kloaken und Brunnen) ausgegraben, die den Zeitraum vom Hochmittelalter bis zur Frühneuzeit abdecken. München ist aus archäozoologischer Sicht bis jetzt kaum erforscht. Im Rahmen der Aufarbeitung des Ausgrabungsprojektes „Marienhof“ wurde nun dieses umfangreiche Material, das zum Bestand der SPM gehört, detailliert durch Ptolemaios Paxinos untersucht und publiziert. Die Fundmenge aus der Ausgrabung auf dem Marienhof (> 25.000 bestimmte Knochenfragmente) ermöglicht es, nicht nur statistisch aussagekräftige Schlüsse auf die Ernährungsgewohnheiten der Stadtbewohner zu ziehen, sondern auch das Verhältnis der Münchener zu ihrem Vieh zu beleuchten.
München war zu der Zeit, wie so viele andere Städte in Deutschland, eine „Rinderstadt“, denn der große Wiederkäuer ist bei weitem das häufigste Nutztier. Schweine und Schafe spielten zwar eine deutlich geringere Rolle, wurden durchaus auch geschätzt, da sie Fett, Fleisch und im Fall vom Schaf auch Milch und Wolle lieferten. Überraschend ist die Bedeutung des Huhnes für die Stadt, das beispielsweise in zwei Schächten die häufigste Tierart ist, aber auch im Vergleich mit den Befunden aus anderen süddeutschen Städten im Schnitt deutlich wichtiger war. Unter den Überresten von Gänsen und Enten dürften sich neben einigen Knochen von wilden Verwandten aber vor allem Reste von Hausgeflügel befinden. Unter den wenigen Nachweisen von Wildsäugetieren wurden zum einen Reste des typischen Jagdwildes identifiziert (u.a. Rothirsch, Reh, Wildschwein, Bär), aber auch Skelettreste von Tieren, die allein ihren Weg in die Schächte fanden. Dazu zählen z.B. die zahlreichen Rattenknochen, sowie die Knochen von Haus- und Feldmäusen.
Die meisten Knochen sind Schlacht- oder Speisereste. Darüber hinaus erbrachten die Tierreste aber auch Hinweise auf die Nutzung von Tierprodukten im Handwerk. So weisen die zahlreichen Rinderhornzapfen aus dem Stadtgraben eindeutig auf Hornschnitzer hin, die die Hornscheiden zu nützlichen Objekten verarbeiteten. Aus der schriftlichen Überlieferung ist bekannt, dass an dieser Stelle nicht nur Patrizier- und Ratsfamilien, sondern auch Handwerker ansässig waren. Auch jeder der Schächte erzählt für sich genommen eine eigene Geschichte. Zwei gute Beispiele sind die beiden benachbarten Schächte 1 und 5. In Schacht 1 fanden sich zahlreiche Rattenknochen, die, soweit es beurteilt werden konnte, von Hausratten (Rattus rattus) stammen. Das gehäufte Auftreten dieser Nager in einem einzigen Befund ist ein Hinweis darauf, dass die ansässigen Anwohner mit einer Rattenplage zu tun hatten. Im Schacht 5 fehlen Ratten hingegen vollständig. Dafür wurden zahlreiche Knochen von Froschlurchen, Hunden und Katzen (z.T. mit Zerlegungsspuren) gefunden, aber auch zahlreiche Knochen von juvenilen und fötalen Nutztieren sowie das fast vollständige Skelett einer Kuh. In diesem Schacht wurden also gefallene Tiere und Tiere, die nicht für die Ernährung genutzt wurden, entsorgt.
Die Ausgrabungen am Marienhof zeigen eindrücklich, wie man auf Basis umfangreicher Tierknochenfunde das Mensch-Tier-Verhältnis und Aspekte der Alltagsgeschichte im mittelalterlichen München detailreich nachzeichnen kann.
Literatur
Paxinos, P. (2022) Archäozoologie der Abfallschächte: Ergebnisse aus der Ausgrabung „Marienhof“, München. In: N. Benecke (Hrsg.) Leben in der mittelalterlichen Stadt – neue archäobiologische Forschungen. Workshop 29. November 2019, Berlin. Archäometrische Studien 2: XXX-XXX. Reichert Verlag: Wiesbaden.