Geschichte

Die Sammlungen der Abteilung Paläoanatomie sind im Vergleich zu den anderen Institutionen der SNSB vergleichsweise jung. Aus dem Zusammenschluss zweier Fachbereiche der Tierärztlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München, nämlich der „Paläoanatomie“ im Institut der Tieranatomie und „Geschichte der Tiermedizin“ im Instituts für Staatsveterinärmedizin und Geschichte der Tiermedizin entstand 1965 das „Institut für Paläoanatomie, Domestikationsforschung und Geschichte der Tiermedizin“. Joachim Boessneck (*1925; †1991) leitete das Institut von der Gründung bis zu seinem unerwarteten Tod. Bereits in der Gründungsphase gelang es Angela von den Driesch (*1934; †2012) als Assistentin ans Institut zu holen. Boessneck und von den Driesch waren Pioniere der deutschen und europäischen Archäozoologie, die Grundlagenforschung leisteten, Unmengen an archäologischem Material bearbeiteten und damit das Fach etablierten und ihm seiner Bedeutung für die Kulturgeschichte der Menschheit entsprechend Geltung in den Nachbardisziplinen verschafften. Wie fruchtbar diese Zusammenarbeit war, zeigt allein schon die umfangreiche Liste an gemeinsamen Publikationen. Aber auch die beachtliche Zahl an Nachwuchswissenschaftlern, die am Münchner Institut ausgebildet wurden oder Praktika absolvierten, spricht für sich.

Nach Boessnecks Tod wurde von den Driesch zur Professorin auf den Lehrstuhl berufen und damit als Institutsleiterin eingesetzt. Als eines der sog. „Kleinen Fächer“ wurde dieses immer als entbehrlich eingeschätzt. So ist es der Überzeugungskraft von den Drieschs zu verdanken, dass zahlreiche Institutionen und angesehene Wissenschaftler im In- und Ausland sowie Kolleginnen der LMU sich dafür einsetzten, dass der Lehrstuhl nach ihrer Pensionierung im Jahr 1999 mit der gleichen Bezeichnung wieder zugewiesen wurde. Gleichzeitig gelang es von den Driesch, mit der Universität und den Staatlichen Naturwissenschaftlichen Sammlungen (SNSB) unter seinem damaligen Direktor Prof. Dr. Heinz Schulz eine Vereinbarung zu treffen, so dass im Rahmen des sog. Münchner Modells die bislang universitären archäozoologischen Sammlungen mit der Staatssammlung für Anthropologie zur Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie vereinigt werden konnte. Wie im Münchner Modell festgelegt, fungiert der Inhaber der Professur in Personalunion als Direktor der entsprechenden Staatssammlung. Als Nachfolger von Angela von den Driesch wurde im Jahr 2000 Joris Peters als Professor und Lehrstuhlinhaber an das Institut berufen und somit zugleich der erste Direktor der Abteilung Paläoanatomie der Staatssammlung für Anthropologie und Paläoanatomie.

Die paläoanatomische Sammlung

Grundsätzlich setzt sich die paläoanatomische Sammlung aus zwei Teilen zusammen, aus der Sammlung archäologischer Funden und aus der rezenten Vergleichssammlung. Letztere bestand 1965 nur aus ein paar wenigen Skeletten der häufigen Haustierarten und weniger Wildtierarten sowie wenigen Exemplaren heimischer Vögel, so dass in den ersten Jahren andere Sammlungen aufgesucht und der Rat von Kollegen (z.B. bei Prof. Lepiksaar in Göteborg, Schweden) eingeholt werden musste. Beispielsweise hätte für die immens wichtige Grundlagenarbeit zur Unterscheidung von Schaf und Ziege, die Boessneck bereits vor der Gründung des Instituts zusammen mit den Hallenser Kollegen H.-H. Müller und M. Teichert erarbeitete, die Sammlung an Referenzskeletten in München bei Weitem nicht ausgereicht. Diese Arbeit entstand daher an der äußerst umfangreichen Haustierskelettsammlung des Museums für Haustierkunde in Halle/Saale – seinerzeit eine der eher seltenen Kooperationen über den eisernen Vorhang hinweg.

Dank der unermüdlichen Sammeltätigkeit von Boessneck und von den Driesch sowie der Mithilfe von zahlreichen Freunden, Studenten und Kollegen, die die Präparatoren des Instituts mit gefallenen Tiere, Unfallopfern oder Tieren aus den Sezierübungen der Studenten versorgten, erweiterte sich der Bestand der rezenten Vergleichssammlung bis 1990 auf über 13.800 Exemplare von Wirbeltieren (Säugetiere, Vögel, Fische, Reptilien, Amphibien). Während Boessneck sich besonders um den Ausbau der Vogelsammlung verdient machte, lag von den Drieschs Hauptaugenmerk auf dem Aufbau der Fischskelettsammlung. Heute umfasst die Rezentsammlung über 20.000 Objekte vor allem von Altweltarten. Besonders umfangreich und daher von Forschern der Archäozoologie, aber auch Biologie und Paläontologie aus aller Welt gern genutzt sind die Kollektionen an Vogel- und Fischskeletten.

Räumliche Engpässen bereiteten jedoch seit Institutsgründung große Probleme. Zunächst waren Büroräume und Sammlung getrennt auf dem Stammgelände der Fakultät am Englischen Garten und in einer angemieteten Wohnung in der Franz-Josef-Str. untergebracht. Die Zusammenlegung von Büros, Labors und eines Großteils der Rezentsammlung in der Schellingstr. 10 im Jahr 1974 brachte zwar eine gewisse Arbeitserleichterung. Jedoch blieben Teile der Rezentsammlung und vor allem die archäologischen Faunenreste in verschiedenen Kellern von Universitätsgebäuden eingestellt. Aufgrund des Platzmangels musste man archäologische Tierreste nach der Bearbeitung wieder zurückgeben. Weder mit dem Umzug in eine ehemalige Lodenfabrik in der Feldmochinger Str. Anfang der 90er Jahre noch mit dem Umzug in die Kaulbachstr. 37 im Jahr 2000 verbesserte sich die Raumsituation wesentlich, da große Teile der Sammlungsbestände weiterhin in unterschiedlichen Kellerräumen der Universität untergebracht und damit nur eingeschränkt zur Bearbeitung zugänglich waren. Der große Wurf gelang dann 2009, als der Freistaat leerstehende Gebäude in Poing erwarb und darin neben den Depots der Staatssammlung für Paläontologie und historische Geologie und der staatlichen Theater in München auch die Sammlung an archäozoologischem Fundgut und große Teile der Rezentsammlung unterbrachte. Seit diesem Zeitpunkt wurde dazu übergegangen, alle archäofaunistischen Funde, die im Auftrag des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege zu Tage gefördert werden, in der Staatssammlung aufzunehmen – mit Ausnahme von Konvoluten, die in geeigneten Depots von kommunalen Ämtern für Archäologie oder Universitäten untergebracht werden können.