Kreuz und quer durch Süd- und Westeuropa: Umsiedlungsgeschichte von Damwild geht bis in die Jungsteinzeit zurück

  • Ein internationales Forscher:innenteam beleuchtet die Migrations-Geschichte des Damwilds in Europa mittels DNA-Analysen archäologischer Damwild-Funde sowie moderner Populationen.
  • Seit der Steinzeit haben Menschen Damwild in Süd- und Westeuropa angesiedelt, was vielfach über den Seeweg geschah. Sie bezogen dafür Tiere aus weitentfernten Populationen, beispielsweise aus Anatolien.
  • Die komplexe anthropogene Verbreitungsgeschichte von Damwildpopulationen in Europa wirft grundsätzliche Fragen auf zur Bewertung des Status heutiger Populationen als schützenswerte, heimische Arten.

Die neue Studie gibt tiefe Einblicke in die gemeinsame Vergangenheit von Damwild und Mensch bzw. seine Rolle in menschlichen Gesellschaften damals, wie heute. Anhand von DNA-Analysen können die Forscher:innen erstmals zeigen, wo frühere und heutige Damhirsch-Populationen ihren Ursprung haben und wo sie sich unter menschlicher Beteiligung ausgebreitet und unter seinem Schutz dauerhaft angesiedelt haben.

Grundsätzlich unterscheidet man zwei Damwild-Arten, den heute stark gefährdeten mesopotamischen Damhirsch (Dama mesopotamica) und den europäischen Damhirsch (Dama dama). Ersterer war nach der letzten Eiszeit in Südwestasien und im östlichen Mittelmeerraum weit verbreitet, während das europäische Damwild eher auf Westanatolien und den Balkan beschränkt war. Besonders die europäische Art erfuhr in historischer Zeit eine weite Verbreitung, etwa nach Afrika, Amerika und Ozeanien.

Während der letzten Kaltzeit auf kleinere Refugialräume beschränkt, konnte sich der europäische Damhirsch ab der frühholozänen Warmzeit von dort aus erneut ausbreiten. Hinweise auf Umsiedlungen von Damhirschen durch den jungsteinzeitlichen Menschen datieren nicht nur überraschend früh, sondern sie belegen auch Großtiertransporte über den Seeweg seit mehr als 5.000 Jahren. Völlig unerwartet zeigen dabei die genetischen Signaturen, dass längst nicht immer die nächstgelegenen Populationen als Bezugsquelle für die Tiere dienten.

So stammten die Hirsche aus jungsteinzeitlichen Siedlungen der griechischen Inseln Chios und Rhodos vom Balkan und nicht aus der deutlich näher gelegenen ostmediterranen Küstenregion. Die Individuen aus ehemaligen römischen Siedlungen auf Mallorca wiederum passen genetisch zu Populationen des mesopotamischen Damwilds und nicht zur europäischen Art, welche jedoch seit der Antike auf der viel näher gelegenen Iberischen Halbinsel beheimatet war. Und auch die Damhirsche, die im Mittelalter nach England eingeführt wurden, verschiffte man aus dem fernen Anatolien anstatt aus Iberien oder Italien.

Die Autoren der Damwild-Studie vermuten hinter diesen komplexen Umsiedlungsaktivitäten, „den Wunsch der Menschen, das Exotische zu besitzen, das in allen Kulturen mit Vorstellungen von Macht und Jenseitigkeit verbunden ist.“ Eine Verbindung zwischen den Umsiedlungen von Damhirschen nach Süd- und Westeuropa und den religiösen Kulten um die griechische Jagdgottheit Artemis, in der römischen Mythologie als Diana bezeichnet, scheint dabei naheliegend.

Auffällig ist, laut den Autoren, wie unterschiedlich Gesellschaften heute den Import exotischer Tiere bewerten. So werden Importe aus vor- und frühgeschichtlicher Zeit als kulturelles Erbe eingestuft, wie beispielsweise die Damhirsche von Rhodos, die dort seit der Jungsteinzeit vorkommen. Nach griechischem Recht ist diese Population sogar als Kulturgut geschützt und auf der Roten Liste der IUCN aufgeführt. Je jünger jedoch die Tierimporte sind, umso negativer ist die Einstellung ihnen gegenüber. Letztere Arten gelten vielfach als Neozoen, gebietsfremde, invasive Tiere, und werden daher als nicht schützenswert eingestuft.

An der Studie waren über 40 Wissenschaftler:innen beteiligt, darunter auch der Archäozoologe Prof. Joris Peters, Direktor der Staatssammlung für Paläoanatomie München (SNSB-SPM) und Inhaber des Lehrstuhls Paläoanatomie, Domestikationsforschung und Geschichte der Tiermedizin, LMU München. Die Studie ist in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) erschienen.

Zur Publikation: https://doi.org/10.1073/pnas.2310051121